Als Kölner Großstadtkind kam uns der Umzug in die Eifel wie ein Sprung in eine Parallelwelt vor, als hätten wir das hektische Stadtleben gegen eine Postkartenidylle eingetauscht. Der Duft von Kuhmist wehte statt Smog um die Nase, und statt lärmender Motorgeräusche hörte man hier tatsächlich Hähne krähen – irgendwie hatte das etwas Idyllisches – zumindest am Anfang.
Das war der Masterplan: Job, Studium und Mutter eines pubertierenden Teenagers unter einen Hut zu kriegen, in einem Haus, das früher als Kuhstall diente und jetzt unser Zuhause war. Die Dorfbewohner nahmen uns sofort auf, als wären wir schon immer da gewesen. An einem dieser Nachmittage, an denen ich mich im Kampf gegen Tapeten und Wandfarben fast verloren hatte, klingelte es plötzlich an der Tür. Ich öffnete und blickte nach unten. Zuerst dachte ich, ich wäre in einer Verstehen sie Spaß Szene gefangen – lange, behaarte Beine in Socken und Sandalen?!
Dieser Anblick verschlug mir die Sprache und irgendwie konnte ich meinen Blick nicht abwenden. Sekunden verstrichen, und dann schaffte ich es doch: Günther, der Chef vom Musikverein, stand vor mir. Und er wollte Flo mitnehmen.
Mein Sohn, der sofort erkannte, dass er sich so vor der Tapezierarbeit drücken konnte, willigte wortlos ein. Schweigend verließ er mit Günther das Haus, während ich mich weiter mit schiefen Tapeten verzettelte, die sich weigerte, mit mir zu kooperieren.
Ein paar Stunden später kam Flo zurück. In seinen Händen trug er ein Instrument, das fast die Größe eines Kleinkinds hatte. Ich blickte ihn fragend an. „Ich lerne jetzt Horn“, verkündete er trocken, als wäre das das Normalste der Welt. Ich wartete auf ein Grinsen, oder „War nur Spaß“, aber da kam nichts. Er setzte sich, und dann pustete er in dieses Ungetüm von einem Instrument.
Chica, unsere treue Hündin, verschwand blitzschnell unter dem Bett, als ob sie eine entsetzliche Vorahnung hätte. Ich war kurz davor, ihr zu folgen. Flo blies und blies, und ich fragte mich ernsthaft, ob das der Beginn einer pubertären Selbstfindungskrise war, in der bizarre Musikinstrumente eine Schlüsselrolle spielten. Der Lärm war – gelinde gesagt – an einer Schwelle, die überschritten werden wollte. Eine ganze Weile später fragte ich Flo vorsichtig, wie er das eigentlich mit seiner Liebe zu Rockmusik vereinbaren wollte. Keine Antwort, nur ein kurzes Schulterzucken. Offensichtlich steckte hinter dieser „Musikkarriere“ keine große Leidenschaft.
Das Horn wanderte jedenfalls bald zurück in seinen Koffer – und zurück zu Günther.
Noch am selben Abend, beim Sportfest am Bierwagen, lief ich Günther wieder über den Weg. Vielleicht war es der Bierduft oder die allgemeine Feststimmung, aber als er mich fragte, wie ich die Horn-Auswahl fände, platzte es aus mir heraus. „Naja, es ist schöner, wenn man das Quietschen von über den Boden geschobenen Möbeln mag.“ Und dann schob ich noch die Hündin vor, die wir ja vor einem Hörschaden bewahren wollten. Günther war sichtlich beleidigt.
Und ja, im Nachhinein tat es mir leid. Denn die Dorfgemeinschaft war der Wahnsinn. Jeder half jedem. Sogar unser Vermieter bot mir mehrfach an, mir die Dorfkneipe zu schenken, wenn ich nur ein Konzept hätte. Dorfkneipen-Managerin – was hätte daraus werden können? Ich habe das Angebot Ernst genommen und auch ein paar tolle Ideen eingebracht. Letztendlich hat er dann den Rückzieher gemacht.
Manchmal frage ich mich, wie unser Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich damals schon remote hätte arbeiten können. Ich meine, was wäre gewesen, wenn ich während der Hornproben meines Teenager-Revoluzzers einfach in ein Café fliehen und von dort arbeiten könnte? Vielleicht hätte ich Günther nicht beleidigt, vielleicht hätte ich die Kneipe übernommen, und vielleicht hätte Flo das Horn wirklich gelernt. Aber vielleicht hätte ich auch nur noch mehr Querstreifen an die Wände gepinselt.