Im Wartezimmer, einem dieser vornehm ausgestatteten Orte, an denen Zeit ihre Bedeutung verliert, saßen vier Personen – ein älterer Herr, eine junge Frau, ein Mann mittleren Alters und eine Dame ohne Alter – in einer Stille, die fast greifbar war. Man hätte meinen können, die Luft selbst hielt den Atem an, als sie, mit der Ruhe von Menschen, die noch nicht wussten, dass sie sich auf ein Gespräch einlassen würden, auf ihren Stühlen saßen.
„Das Leben“, begann der ältere Herr, „ist ein langes Warten. Nur dass am Ende kein Arzt kommt, sondern ein Schicksal.“ Die junge Frau, deren Ohrringe in einem unaufhörlichen Tanz mit den Lichtstrahlen vom Fenster aus, auf ihre Ohren zurückprallten, ließ ein kleines Lächeln auf ihren Lippen tanzen. „Das Leben ist eher wie ein unaufgeräumtes Zimmer“, sagte sie dann, als sei sie stolz auf diese Erkenntnis. „Wir sammeln Dinge, die uns irgendwann nur noch im Weg stehen. Und man merkt es erst, wenn man stolpert.“
„Stolpern ist die einzige Form der Bewegung, die noch den Namen verdient“, entgegnete der Mann in der Mitte. „Denn wir bewegen uns immer nur, um uns selbst ein wenig zu blamieren, um dann zurückzuschauen und zu denken, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, auf den Stuhl zu warten.“
Er sah auf den älteren Herrn, der ein wenig verschmitzt nickte, als hätte er gewusst, dass dieser Moment kommen würde.
„Der Wandel“, fuhr der ältere Herr fort, „ist ein ständiger Prozess der Enttäuschung. Man fängt an, etwas zu lieben, nur um festzustellen, dass es sich später in etwas verwandelt, das einem fremd erscheint. Das ist nicht traurig, sondern das Gesetz der Natur. Oder wie mein Großvater zu sagen pflegte: ‚Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung – und das Aufregen darüber, dass sie uns nicht verschont.’“
Die Dame lachte jetzt leise, aber nicht unangemessen. „Ja, der Wandel“, sagte sie, „das ist der wahre Betrüger. Wir sehen ihm zu, wie er uns etwas verspricht, und dann klaut er uns die Zeit. Manchmal weiß man gar nicht, was einen mehr enttäuscht: der Wandel oder das Wissen, dass man ihn auch nie hätte aufhalten können.“
„Wir könnten es versuchen“, sagte der Mann in der Mitte und zog eine Augenbraue hoch. „Aber das Leben ist kein Schachspiel. In diesem Fall spielen wir immer gegen einen unsichtbaren Gegner.“ Er grinste, als er diesen Satz aussprach, als sei es ein Geheimnis, das er mit sich selbst teilte.
„Der unsichtbare Gegner“, wiederholte die junge Frau, „der ist übrigens der einzig wahre Freund, den wir haben. Denn er wird nie enttäuscht von uns, er erwartet nie etwas und – wie man so schön sagt – er wartet geduldig. Manchmal wird es sogar so absurd, dass man denkt, der unsichtbare Gegner ist der einzige, der weiß, wie das Leben wirklich funktioniert.“
„Er weiß es“, sagte der ältere Herr, als ob er gerade die tiefste Weisheit des Universums in einem Satz zusammengefasst hätte. „Und er weiß, dass wir irgendwann herausfinden werden, dass wir nie gewonnen haben. Aber er lässt uns in dem Glauben, dass wir es immerhin versucht haben.
“Für einen Moment herrschte Stille im Raum, als alle vier diese einfache, aber tiefgründige Erkenntnis auf sich wirken ließen. Der Mann in der Mitte schaute auf seine Uhr, als ob er sie jetzt erst bemerkte, und sagte dann mit einer unerschütterlichen Gelassenheit: „Vielleicht ist das der wahre Luxus im Leben: zu wissen, dass man nie wirklich angekommen ist.“
„Und das ist der wahre Spaß daran“, fügte die junge Frau hinzu, „dass es immer ein nächstes Warten gibt.“
Die vier Personen schauten sich nicht wirklich an, sondern starrten gedankenverloren auf die Wände, als wären diese zu einem Mysterium geworden, das noch nicht vollständig enträtselt war. Eine gewisse Stille, die fast körperlich spürbar war, herrschte, als der alte Herr das Schweigen durchbrach.
„Aber wenn man wirklich darüber nachdenkt… was ist denn der Unterschied zwischen einem Wandel und einer ständigen Wiederholung des Alten?“
Er ließ seine Worte im Raum hängen wie ein unangekündigter Regenschauer. Ein kurzer Blick zu der jungen Frau, die ihn nur vage anstarrte.
„Der Unterschied?“, erwiderte sie schließlich mit der Gelassenheit eines Menschen, der schon oft mit der Frage konfrontiert wurde. „Ich glaube, der Unterschied ist, dass beim Wandel wenigstens die Illusion von Fortschritt aufrechterhalten wird.“
Sie sprach es so ruhig aus, dass es den Anschein hatte, sie habe den Satz in einem früheren Leben schon einmal gesagt, nur eben in einem anderen Kontext. „Man geht auf die Arbeit, sieht die gleichen Gesichter, hört die gleichen Gespräche, aber man glaubt, etwas sei anders. Vielleicht auch nur, weil die Kaffeemaschine jetzt eine halbe Tasse weniger Kaffee liefert.“
Der ältere Herr, der so still saß wie ein exzentrischer Adliger in seiner Einsamkeit, räusperte sich jetzt.
„Der Wandel“, sagte er mit der Schärfe eines Mannes, der vermutlich seit Jahrzehnten jeden Tag die gleiche Zeitung liest, „ist nicht mehr als eine Aufforderung zur Anpassung. Ein ständiges Neuanstrengen der Selbsttäuschung. Heute kauft man sich ein teures Smartphone, morgen wird man feststellen, dass man auch nicht viel mehr kann als vorher, nur dass die Tasten jetzt kleiner sind und die Schrift feiner. Am Ende bleibt alles beim Alten – nur die Verpackung verändert sich.“
Die junge Frau hob eine Augenbraue, als hätte sie soeben das Geheimnis des Universums entschlüsselt. „Vielleicht ist der wahre Wandel, den wir nicht erkennen, der, dass wir anfangen, uns selbst immer weniger zu verändern, und doch glauben, wir würden das tun“, sagte sie und lehnte sich zurück. „Wären wir wirklich so gut im Wandel, wie wir glauben, hätten wir das Wartezimmer längst verlassen.“
Die Dame ohne Alter nickte, als wäre dies eine tiefsinnige Erkenntnis. „Ganz recht. Wir sitzen hier und warten auf den Wandel, aber vielleicht ist der Wandel schon längst hier – in Form eines Wartezimmers. Und was ist der Unterschied zwischen einem Wartezimmer und einem Leben? Beide stellen sicher, dass man nie weiß, wann man wirklich dran ist.“
„Ach, aber irgendwann“, sagte der ältere Herr mit einem Anflug von Humor in seiner Stimme, „kommt der Moment, in dem wir alle an der Reihe sind. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber irgendwann wird der Wandel uns zu einem neuen Arzt führen. Und dann… dann wird alles noch langweiliger, nur mit besseren Wartezimmern.“
Die Stille, die folgende, war nahezu göttlich. Ein Moment, in dem der Raum selbst ein Gespräch führte, ohne ein einziges Wort zu verlieren. Und dann, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, fuhr der Mann mittleren Alters fort: „Also, wie viele Stunden haben Sie noch zu warten?“„Oh, etwa zwei“, sagte die junge Frau mit einem unauffälligen Achselzucken, als sei es die einzige wirkliche Konstante in ihrem Leben. Und so warteten sie weiter.