Hat Dein Chef einen Flamingo? – Offenbarung im Alltag der Remote Arbeit

An einem grauen, aber nicht unangenehmen Januarmorgen saßen zwei Frauen auf einer Bank im Stadtpark, ihre Mäntel sorgfältig geschlossen, ihre Hände tief in den Taschen vergraben. Um sie herum zog das Leben in gemächlichem Rhythmus vorbei: ein Mann mit einem freudig hechelnden Hund, ein Kind, das mit einer viel zu großen Mütze auf einem wackeligen Roller balancierte, und eine ältere Dame, die trotz des Wetters eine Sonnenbrille trug, als sei sie auf dem Weg zu einem Filmset.

Die eine Frau, nennen wir sie Clara, nahm einen Schluck aus einem Kaffeebecher, der nach Genuss wirkte, und sagte nach einer langen, bedeutsamen Pause: „Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, ich lebe in einem einzigen Zoom-Hintergrund.“ Ihre Begleiterin, Judith, warf einen Blick in die Bäume, als suche sie dort eine Antwort, und nickte bedächtig. „Und du hast nie das Premium-Abo genommen, oder?“

Clara schnaubte leise, fast unhörbar. „Natürlich nicht. Ich sitze also jeden Tag mit einer verschwommenen Bücherwand hinter mir, die gar nicht meine ist, und höre, wie Kollegen ihre Katzen vorstellen, als wäre das ein offizieller Tagesordnungspunkt.“

Judith lächelte kaum merklich, wie jemand, der den Witz zwar versteht, aber nicht zugeben will, wie sehr er ins Schwarze trifft. „Das ist noch harmlos. Letzte Woche hat sich mein Chef bei einem Call so hingelegt, dass ich aus seinem Fenster sehen konnte. Direkt in einen Garten, in dem offenbar ein Flamingo stand.“ „Ein echter?“ fragte Clara mit ernster Stimme. „Ein Plastikflamingo. Aber trotzdem. Der Mann leitet ein globales Unternehmen, und da steht ein Flamingo. Seitdem denke ich über die Symbolik nach.“ Clara nickte langsam, so als müsste sie die Schwere dieser Offenbarung abwägen. „Vielleicht ist es eine Botschaft. Eine Aufforderung zur Leichtigkeit.“

Judith zog einen unsichtbaren Faden von ihrem Mantelärmel und seufzte. „Oder ein verzweifelter Schrei nach Individualität. Weißt du, wir alle sitzen da, mit unseren perfekt inszenierten Hintergründen und unseren gefilterten Stimmen, und dann… kommt der Flamingo.“ „Der Flamingo bricht die Fassade“, sagte Clara, und ihre Stimme klang beinahe andächtig. Ein Jogger kam vorbei, und sie schwiegen, als wäre ihre Unterhaltung zu privat, um mit der Außenwelt geteilt zu werden. Als der Mann außer Hörweite war, sprach Clara wieder: „Es ist seltsam. Früher dachte ich, das Büro wäre der Ort, an dem ich fremdbestimmt bin. Jetzt habe ich das Gefühl, es ist der Bildschirm, der mich einsperrt. Und der Algorithmus. Du glaubst gar nicht, wie oft mir inzwischen ergonomische Stühle vorgeschlagen werden.“

Judith lächelte jetzt deutlicher, aber es war ein nachdenkliches Lächeln. „Vielleicht sollten wir uns einen echten Flamingo kaufen. So einen richtigen, der sich weigert, in einem Call still zu sitzen.“ Clara überlegte kurz, dann lehnte sie sich zurück.

„Oder wir lassen den Bildschirm einfach mal aus und sehen, was passiert.“ Judith zog die Schultern hoch. „Wahrscheinlich nichts. Aber nichts könnte auch sehr erholsam sein.“ Für einen Moment schauten beide Frauen schweigend auf den Teich vor ihnen, wo ein Stockentenpaar sich um einen alten Brotkrumen stritt. Und als sie schließlich aufstanden, um weiterzugehen, schien die Luft um sie ein wenig leichter, als hätten sie den Alltag ein Stück weit entzaubert – oder zumindest einen Weg gefunden, mit ihm zu tanzen.

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