Der Wind peitschte den Schnee durch die Luft, ließ ihn wie kleine, weiße Geschosse gegen die Windschutzscheibe prallen. Links und rechts des schmalen Gebirgspasses türmten sich die verschneiten Gipfel der Alpen auf, während die Straße vor uns kaum zu erkennen war. Das Weiß des Schneesturms verschmolz mit dem Himmel, und die Grenze zwischen Himmel und Erde schien aufgelöst. Die Bäume, die zu beiden Seiten der Straße wuchsen, waren tief unter der Last des Schnees gebeugt, als würden sie sich vor der winterlichen Naturgewalt verneigen.Vor uns tauchte plötzlich ein kleines, unscheinbares Gebäude auf – der Grenzposten zwischen Italien und der Schweiz. Ein müder Lichtschein aus dem Fenster fiel auf den Schnee, kaum stark genug, um mehr als ein paar Meter weit zu leuchten. Am Schlagbaum stand ein Grenzbeamter, in einen langen, dunklen Mantel gehüllt. Sein Kopf war von einer großen Pelzmütze bedeckt, die ihn gegen den beißenden Wind schützte. Der Schnee sammelte sich in dicken Schichten auf seiner Schulter, und sein Gesicht war kaum zu erkennen.
Langsam rollten wir mit unserem weißen Skoda Felicia Van heran. Der Motor brummte leise, als ich versuchte, das Fahrzeug auf der rutschigen Straße unter Kontrolle zu halten. Es war der erste Weihnachtstag, und obwohl es mitten in der Nacht war, hatten wir noch eine Stunde Fahrt bis nach Lostallo vor uns – normalerweise keine lange Strecke, aber bei diesem Wetter? Fraglich. Neben mir saß Kristian, der Neue von meinem Bruder. Er starrte nur stumm auf das Armaturenbrett, ohne ein Wort zu sagen. Es war nicht der Schnee, der ihn nervös machte. Die Kälte drang selbst durch die Heizung des Wagens, und ich spürte, wie sich der Frost langsam in meine Knochen schlich. Als der Grenzbeamte auf uns zuging, ließ ich das Fenster herunter. Sofort drang der eiskalte Wind ins Auto und brachte uns zum Frösteln.
Er fragte uns nach dem Üblichen – ob wir etwas zu verzollen hätten. Ich war wie benommen von der Anstrengung der Fahrt und murmelte etwas von einer Person. Warum sagte ich das? Keine Ahnung. Mein Kopf war so voll von der Anspannung, vom Drang, endlich nach Hause zu kommen, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Der Beamte runzelte die Stirn, schien mich nicht richtig verstanden zu haben. Er wiederholte die Frage, aber wieder murmelte ich dieselbe Antwort. Kristian neben mir blieb still, wie erstarrt. Der Grenzbeamte schien die Geduld zu verlieren. Er schritt um das Fahrzeug herum, sah hinein, und in diesem Moment, als er durch die hinteren Scheiben schaute, geschah es. „Frank, er kommt“, rief ich aufgeregt. Der Beamte blieb wie angewurzelt stehen, und sein Gesicht verlor alle Farbe. Da, im Laderaum, saß ein Mann in einem Campingstuhl, eingewickelt in eine dicke Decke. Man konnte nur seine Augen sehen, die unter einer Decke aus dichten, perfekt sitzenden Haaren hervorschauten. Er saß dort wie ein Gespenst, ruhig, inmitten des Schneesturms. Es war mein Bruder, und er saß dort hinten auf der Laderampe mit seiner perfekten Frisur in dem grünen Klappstuhl, weil der Zweisitzer keine befriedigende Alternative für diese Exkursion bot und der Flughafen nur einen Katzensprung entfernt war. Nun saß mein kleiner Bruder hier, mitten im Laderaum, während draußen der Schneesturm tobte und der Grenzbeamte keinen blassen Schimmer hatte, was er mit uns anfangen sollte.
Was in diesem Moment durch den Kopf des Beamten ging, wusste ich nicht. Vielleicht wollte er einfach nur seine Ruhe an diesem stillen Weihnachtsabend. Vielleicht hatte er Mitleid mit mir, als er bemerkte, dass in wenigen Stunden mein 40. Geburtstag anstand. Oder vielleicht verstand er einfach, dass in dieser Nacht nichts so war, wie es schien. Jedenfalls ließ er uns ziehen. Kein weiterer Blick, keine weiteren Fragen. Er hob den Schlagbaum, und wir setzten unsere Fahrt fort, hinein in die undurchdringliche weiße Wand des Sturms.
Die Sicht betrug kaum zwei Meter, und immer wieder geriet der Skoda ins Schlingern, drehte sich fast um die eigene Achse, bevor ich ihn wieder unter Kontrolle brachte. Doch seltsamerweise fühlte ich mich friedlich. Es war ein Abenteuer, ein unerwartetes Geschenk an diesem Abend. Zu Hause warteten mein Sohn und Chica, die uns mit einem warmen Essen empfingen. Und ich? Ich lernte den Mann kennen, der einmal der Ehemann meines Bruders werden sollte. Vielleicht war es der Sturm, der alles in Bewegung setzte, oder die Freude, die uns antrieb. Jedenfalls blieb dieser Geburtstag unvergesslich.