Läutet das Hanfkalk-Haus der Hauptstadt eine neue Ära ein?

Hanfkalk Haus

Wie ein Berliner Unternehmen mit Hanfkalk die Zukunft des Bauens neu schreibt

Berlin liebt die Übergänge. Die Straßen, die nie ganz fertig aussehen. Die Häuser, die Geschichten erzählen, bevor man sie überhaupt betreten hat. Und genau hier, im vielschichtigen Berlin-Weissensee, entsteht gerade etwas, das mehr ist als ein weiterer Neubau. Es ist das erste Wohnhaus der Hauptstadt, das vollständig mit Hanfkalk errichtet wird – und könnte rückblickend als Wendepunkt in die Baugeschichte eingehen.

Ein Gebäude, das nicht nur neu denkt, wie Häuser entstehen, sondern auch, wie bestehende Architektur wieder atmen lernen kann.

Eine neue urbane Sinnlichkeit: Hanfkalk als Baustoff der Zukunft

Man ist versucht, Baustoffe als nüchterne Materie zu betrachten: Beton, Stahl, Ziegel. Materialien, die bauen, ohne zu fühlen. Hanf dagegen ist eine Kulturpflanze mit jahrtausendealter Tradition – und mit einer überraschenden Modernität. Schnell wachsend, CO₂-speichernd, ressourcenschonend. Und in Kombination mit Kalk wird er zu einem Baustoff, der ökologisch wie ästhetisch verblüfft.

Der dreigeschossige Neubau in Weissensee stammt aus der Feder des Amsterdamer Büros AndArchitecture und wird mit ökologischer Finesse durch Urban Clean Building realisiert.
„Hanf ist vielseitig einsetzbar und äußerst ressourcenschonend. Als CO₂-Speicher ist Hanf nicht nur robust, sondern auch ökologisch vorteilhaft“, erklärt Architekt Michael Bader, der die Bauausführung leitet.

Doch das Projekt zeigt noch etwas anderes: Hanf, Lehm, Stroh und Holz sind keine nostalgischen Baustoffe. Sie sind eine Zukunftstechnologie, die sich weich anfühlt, warm duftet und Räume schafft, die lebendig klingen.

Wie Hanfkalk Klima – und Emotionen – reguliert

Die Außenwände bestehen aus einer Mischung aus Hanfschäben, Kalk und Wasser. Klingt bodenständig und ist doch revolutionär. Der Baustoff ist diffusionsoffen, was bedeutet: Die Wände können Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Innenwände werden aus Hanf-Lehm gestampft, ein Material, das schon vor Jahrhunderten funktionierte, heute aber mit wissenschaftlicher Präzision eingesetzt wird.

Diese Kombination erzeugt ein Raumklima, das stabil, natürlich und wohngesund ist. Keine überhitzten Sommer. Keine kalten Wände im Winter. Keine stickigen Räume nach dem Duschen.

Selbst unter den Füßen zeigt sich der Anspruch: Der gesamte Styroporanteil im Bodenaufbau wird durch eine Hanf-Lehmmischung ersetzt. Ein stiller Triumph über erdölbasierte Baustoffe, die jahrzehntelang als alternativlos galten.

Energieautarkie mit Eleganz: Geothermie, Solar und smarte Systeme

Das Haus denkt weiter, als man es von einem „ökologischen Projekt“ erwarten würde. Es baut nicht nur grün – es lebt grün.

Zwei 90-Meter-Bohrungen speisen die Erdwärmepumpe, die das Gebäude nachhaltig beheizt. Eine Solaranlage liefert Energie, die in einem Batteriespeicher gesammelt und über eine Wallbox direkt fürs Elektroauto genutzt werden kann. Vertikale Solarmodule an der Fassade nutzen auch flache Wintersonne. Ein Gebäudemanagementsystem überwacht Energieflüsse, optimiert Verbrauch und legt die Grundlage für ein Gebäude, das seine eigene Effizienz fortlaufend lernt.

Ein Neubau, der in seiner Betriebsenergie so sparsam ist, wie seine Materialien es in der Herstellung sind.

Ein Haus, das man mit den Händen versteht

Ungewöhnlich – und charakterbildend – ist die starke Einbindung der Bauherren. Sie mischen Hanf-Lehm, stampfen Wände, fühlen die Baustoffe. Dadurch entsteht eine emotionale Beziehung, die sich selten in klassischen Bauprozessen zeigt.

Der Rohbau steht, der Innenausbau ist geprägt von:
Lehmputz für bessere Raumluft
zementfreiem Trockenestrich aus Basalt
Re-Use-Holz, das Treppen, Küchen und Verkleidungen zu haptischen Souvenirs der Kreislaufwirtschaft macht

Der Einzug ist für Winter 2025/26 geplant. Kaum ein Jahr, aber ein Quantensprung.

Warum diese Materialien auch für das Revival von Bestandsimmobilien entscheidend werden

Hier öffnet sich ein besonders faszinierendes Kapitel: Die Materialien, die diesen Neubau so transformativ machen, sind mindestens genauso relevant für die Sanierung von Bestandsgebäuden. Und zwar nicht als modischer Öko-Anstrich, sondern als echte baubiologische Reanimation.

Altbauten kämpfen oft mit denselben Gegnern: Feuchtigkeit, Schimmel, ungesunde Raumluft, schlechte Dämmwerte und energetische Ineffizienz. Genau dort entfaltet Hanfkalk seine Superkraft.

Der Stoff kann Feuchtigkeit aufnehmen, speichern und abgeben – ohne seine Dämmleistung zu verlieren. Das macht ihn zum natürlichen Antagonisten der typischen Altbauprobleme. Wo synthetische Dämmstoffe dichte Hüllen erzeugen, die Häuser überhitzen oder „ersticken“, arbeitet Hanfkalk mit dem Gebäude, statt dagegen.

Lehm stabilisiert Temperaturschwankungen, reduziert Staub, sorgt für ruhige, weiche Luft. In historischen Wänden funktioniert er wie ein ausgleichender Organismus. Für Gründerzeitwohnungen ebenso wie für DDR-Platten, alte Bauernhöfe oder 50er-Jahre-Häuser.

Re-Use-Holz wiederum bietet kulturelle Kontinuität. Wenn aus dem Balken eines abgebrochenen Dachs eine Treppe entsteht, bleibt Geschichte fühlbar – und wird zugleich klimafreundlich weitergeschrieben.

Praktisch betrachtet profitieren Sanierungen enorm:
– keine schweren Maschinen nötig
– geringes Materialgewicht
– ideale Ergänzung für Denkmalschutz
– natürliche Feuchteregulierung
– verbessertes Wohnklima ohne synthetische Chemie

Mit diesen Eigenschaften wird Hanfkalk nicht nur zum Stoff für neue Häuser, sondern zum goldenen Schlüssel der Gebäudewende. Und Berlin, mit seinen unzähligen Altbauten, wäre das ideale Feld für diese Renaissance.

Kulturelle Bedeutung: Eine Renaissance, keine Nostalgie

Hanfkalk verbindet europäische Traditionen mit globalem Klimadenken. Es ist ein materialgewordenes Gespräch zwischen Vergangenheit und Zukunft – zwischen traditionellen Handwerkstechniken und der technologischen Intelligenz einer neuen Bauepoche.

Berlin ist dafür ein Resonanzraum. Was hier entsteht, strahlt aus. Weil die Stadt architektonisch widersprüchlich, experimentell und mutig ist. Hier treffen urbane Sehnsucht und ökologische Notwendigkeit aufeinander.

Ökonomische Perspektiven: Vom Feld bis zur Fassade

Hanf schafft regionale Wertschöpfung. Vom Anbau über die Verarbeitung bis zur Bauausführung entstehen lokale Kreisläufe – unabhängig von globalen Lieferketten. In einer Zeit volatiler Märkte hat das strategisches Gewicht.

Ökologisch wertvoll. Wirtschaftlich attraktiv. Technisch solide.

Richtig eingesetzt könnte Hanf zur Leitpflanze einer klimaneutralen Bauwirtschaft werden.

Politische Dynamik: Wo Regulierung Innovation einholt

Die Baustoffwende ist technisch längst möglich, aber politisch noch nicht ganz angekommen.
Es fehlt an Normen, Förderungen, Fachkräften – und oft am Mut, Bestehendes durch neue Standards zu ersetzen.

Doch der Druck steigt. Klimaziele, steigende Energiepreise, gesellschaftliche Erwartungen. Hanfkalk könnte zum politischen Gamechanger werden, wenn er als Schlüsseltechnologie für Sanierungen und Neubauten anerkannt wird.

Visionen, die über Weissensee hinausweisen

Das Berliner Hanfkalk-Haus ist nicht nur ein Bauwerk, sondern ein Denkwerk. Ein Modell, das zeigt, wie nachhaltiges Bauen gleichzeitig sinnlich, ästhetisch, technologisch smart und wirtschaftlich machbar sein kann.

Es formuliert leise, aber kraftvoll: Zukunft entsteht nicht nur aus Innovation, sondern aus Wiederentdeckung. Nicht nur aus Maschinen, sondern aus Materialien, die uns seit Jahrhunderten begleiten.

Hanfkalk ist keine Mode. Es ist ein Versprechen.

Gehörst Du auch zu den Pionieren, die Geschichte des nachhaltigen Bauens schreiben?

Ob Neubau oder Sanierung – die spannendsten Entwicklungen liegen dort, wo Mut, Materialintelligenz und ökologische Kultur eine neue Allianz bilden.

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